Nachtbriefkasten beim FA im Grunde eine Kulanzregelung

Eine kleine Denksportaufgabe: Die Einspruchsfrist endet am Freitag 24:00. Der Einspruch wird am Freitag Abend 22:00 in den Nachtbriefkasten eingeworfen. Frist gewahrt? Oder ist das Schriftstück erst am kommenden Montag zugegangen und damit außerhalb der Frist?

Theoretisch und bei rein zivilrechtlicher Betrachtung wäre es zu spät gewesen. In der Praxis ergeben sich insoweit jedoch keine Probleme, weil die Rechtsprechung in der Vergangenheit mehrfach darauf hingewiesen hat, dass Bürgern die Möglichkeit zur Ausnutzung von Fristen möglich sein muss (BVerwG 13.3.62, I C 158/60), also auch die fristwahrende Abgabe von Erklärungen bis 24:00 Uhr des letzten Tags der Frist. Zu diesem Zwecke wurden die bekannten Nachtbriefkästen etc. angebracht. Über diese Briefkästen (mit und ohne Klappfunktion ab 24:00 Uhr) wird dann quasi der Zeitpunkt erfasst. Wenngleich die Erklärung damit erst verspätet „zugeht“ i. S. der zivilrechtlichen Regelungen über den Zugang von Willenserklärungen (§ 130 BGB), kann sich die Verwaltung auf diesen Umstand nicht berufen. Dies leitet die Rechtsprechung aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) her und setzt damit die Vorgaben des BVerfG um.

Die Richter beim FG Köln (25.1.17, 1 K 1637/14, Rev. BFH VI R 37/17). haben aber nunmehr einen anderen Begründungsweg gewählt und die zivilrechtlichen Regelungen insoweit vollständig außer Acht gelassen: Die Verwaltung hat grundsätzlich einen Empfangs- und Zugangswillen, der Zugang muss damit nicht mehr fingiert werden.

Zu dieser Sicht kamen sie, um eine andere Frage zu beantworten, nämlich: Kann eine Steuererklärung fristwahrend auch beim nicht zuständigen Finanzamt eingereicht werden – zumindest in NRW? Ja, meinen die Richter, weil die Finanzverwaltung in NRW einheitlich auftritt. Die Sache liegt jetzt beim BFH.

Vermutlich wird der BFH seiner bisherigen Rechtsprechung treu bleiben und die Begründung aufheben, im Ergebnis aber die fristwahrende Abgabe der Erklärung beim unzuständigen Amt halten. Dafür spricht für insbesondere die Judikatur des BVerfG. In einer Entscheidung aus dem Jahr 1985 hat sich das BVerfG nämlich bereits mit dem Rechtsschein von durch die Verwaltung (dort Staatsanwaltschaft) verwendeten Briefbögen und den daraus resultierenden Rechtsschein für die zur Entgegennahme von Erklärungen zuständige Behörde geäußert. Damals wurden Unklarheiten zu Lasten der Behörde ausgelegt, da die Ursache für diese Ungewissheit liegt indes allein in der Sphäre des Gerichts und gänzlich außerhalb der Einflusssphäre des Bürgers (BVerfG 14.5.85, 1 BvR 370/84, Rn. 15).

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